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1001 pasajes

Liebe Passant*innen und Passagiere,

das spanische Wort ‚pasaje‘ hat viele Bedeutungen: Je nach Kontext meint es Fahrkarte, Schiffsüberfahrt, Ladenpassage, aber auch Textstelle. Es bezeichnet auch biografische Übergänge von einer Lebensphase in die andere: biografische Statuspassagen. ‚Pasajeros‘ heißen die Reisenden.

Ich mag dieses schillernde Wort, und ich bewundere Walter Benjamins „Passagen-Werk“, an dem er von 1927 bis zu seinem Tod 1940 gearbeitet hat. Flanierend schreibt er darin über die Entstehung der Pariser Laden-Passagen, über Mode, Literatur und Kunst. Aus der Fülle der Textpassagen, die er aneinanderreiht und durch ein ausgeklügeltes System von Querverweisen verknüpft, entwickelt sich eine materialistische Geschichtsphilosophie, die nicht mehr die Geschlossenheit eines Gesamtwerks vorspielt. Diese Form der Montage wird den Brüchen und Un-Gleichzeitigkeiten der Zeitläufte gerecht und macht dennoch historische Passagen, Übergänge, Zusammenhänge deutlich. In seinem ausufernden und dennoch fragmentarischen Charakter sowie den Unmengen zitierter Passagen aus Texten anderer Autor*innen und dem komplexen System der Querverweise erscheint mir Benjamins „Passagen-Werk“ zudem als Vorläufer des heutigen Schreibens im Netz.

In meinem „1001pasajes-Blog“ sammele ich passagenweise Gedanken und Geschichten zu den unterschiedlichsten Arten von Übergängen und Passagen. Der Fokus liegt jedoch auf biografischen Übergängen, auf Übergangsritualen und Grenzgängen auf Reisen und darauf, was sie uns vielleicht über verschlungene Lebenswege und biografische Bildungsprozesse sagen können. Als Kulturgerontologin und Kulturgeragogin bleibt mein Erkenntnisinteresse immer auch auf das Alter und Altern ausgerichtet. So lassen sich etliche meiner PassAGEn als Beiträge zur „Material Gerontology“ lesen.

Wenn das Altern ein passAGEres Phänomen in der Zeit ist — von einer LebenspassAGE zur anderen — ist es das Reisen im Räumlichen. Beides kann zusammenhängen. Nicht von ungefähr werden (auto)biografische Erzählungen oft durch Ortswechsel strukturiert. Unsere PassAGEn in Raum und Zeit sind Grenzgänge, die uns verändern und in denen wir uns verändern, sie transformieren uns, wir werden von ihnen gebildet und bilden uns — mal freiwillig, freudig ersehnt und heiß erwünscht, aber wie oft auch aufgezwungen, von Ohnmachtserfahrungen, Ängsten, Wut, Trauer und Leid geprägt. In vielen PassAGEn schillern Ambivalenzen in all ihren Facetten.

Das Schreiben der ‚1001 pasajes‘ ist für mich ebenfalls ein Grenzgang. Ich überschreite im Blog die mir vertrauten wissenschaftlichen Schreibweisen und wage den Grenzübertritt hinein ins autobiografische Erzählen. Essays — Versuche — Versuchungen. Ich sage „Ich“. Mal mehr, mal weniger, oft aber in Ambivalenz gegenüber der „biographischen Illusion“ , vor der Bourdieu die Biografie-Forschung schon in den 1980er Jahren warnte, jedoch meistens in dem Bewusstsein, „dass noch die wahrhaftigste Selbstoffenbarung eine soziale Inszenierung ist, die sich durch die geschichtlichen Formen hindurcharbeiten muss“ (Mollenhauer 1987:17; vgl. ausfühlicher zum autobiografischen Schreiben über Alter(n): Haller 2020/2010).

Die Fotos im Blog sind von meinem Mann Chris Weber. Wir haben das Glück, einige PassAGEn unseres Lebens gemeinsam zu gehen.

Wer Lust hat, mich auf der einen oder anderen Passage zu begleiten, findet den Übergang zum Blog hier.

Herzlich Willkommen: Buen pasaje!